Die Borghorster Mühle von 1876 – ein Wahrzeichen auch ohne Flügel
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Ein Beitrag zur Geschichte der Altengammer Mühle von Heiner Lütten
Fährt man von Hamburg kommend auf dem Elbdeich Richtung Südosten, also elbaufwärts, kommt
man an der Fähre Zollenspieker vorbei, weiter über Kirchwerder und Neuengamme schließlich nach
Altengamme. Die Elbe fließt rechter Hand in Richtung Hamburg und Nordsee, ein breiter Strom, oft
mit befestigten Ufern, oft aber auch mit Stränden und bewaldeten Ufern. Dieser Deich wurde erst
1968 errichtet, nachdem ein paar Jahre vorher, im Jahre 1962, bei der großen Sturmflut Hamburgs,
große Teile der Stadt und auch große Flächen Kulturland überschwemmt worden waren. Links sieht
man, vor allem in Altengamme, den „alten Deich“, errichtet bei der Besiedlung des ehemaligen Elbe-
Urstromtales in der Mitte des 12. Jahrhunderts. Nimmt man sich ein wenig Zeit, so sieht man
landeinwärts das fruchtbare Marschenland mit seinen Weiden und Feldern, Gärten und
Gewächshäusern, mit seinen Gehöften und Wohnhäusern. Wenn man dann bereits fast am
äußersten südöstlichen Zipfel Hamburgs angekommen ist, macht der Deich eine deutliche
Linkskurve, rechts befindet sich eine mächtige Sandbank am Gleithang einer Elbkurve. An dieser
markanten Stelle liegen die Altengammer Mühle und unmittelbar am Deich das strohgedeckte
Wohnhaus der Müllerfamilie. Etliche weitere Fachwerkhäuser mit Strohdach machen diesen
Deichabschnitt außerdem besonders sehenswert.
Altengamme ist nämlich das älteste Dorf in den Vierlanden. Und das kam folgendermaßen: Das
gesamte Gebiet liegt im Urstromtal der Elbe. Bereits in der späten Römerzeit, etwa um das Jahr 0,
stieg der Meeresspiegel in der Nordsee; dadurch verringerte sich die Erosion im Urstromtal der Elbe
und die Ablagerungen blieben liegen. Immer mehr Sand und Boden lagerte sich im Fluss ab und die
Menschen versuchten, neue Flächen zu besiedeln.
So ungefähr um 1000 unserer Zeitrechnung war das Urstromtal so weit trocken, dass landsuchende
Bauern daran denken konnten, neuen Siedlungsraum im Raum beiderseits der Elbe zu suchen.
Einige versuchten das allein. Mit großer Mühe und Anstrengung wurden zuerst Warften
aufgeschüttet, auf denen die ersten Bewohner ihre Häuser errichteten. Einige dieser Warften liegen
noch heute am Horster Damm. Dort, im Schutze der nahen Geest, entstanden nämlich die ersten
Häuser. An manchen Stellen hatten sich auch Sandbänke und Dünen gebildet, die sich als
geeignete Siedlungsplätze anboten. Heinrich der Löwe wurde im Jahre 1156 Kurfürst von Sachsen
und Bayern. Er engagierte sich für die sogenannte Ostkolonisation, d.h. die deutsche Besiedlung der
slawischen Gebiete, und er förderte auch die Urbarmachung des verlandenden Urstromtals der
Elbe. Dazu mussten Leute geworben werden, die dazu fähig waren und es mussten zunächst
Deiche errichtet werden; das ging aber natürlich nur gemeinsam, jeder musste mitmachen.
Menschen fanden sich in den anliegenden Geestgebieten, junge Leute, die anpacken konnten und
das Wagnis der Ansiedlung eingingen. Und dazu wurden die Deichbauer gebraucht. Das waren
Leute von der Nordsee und vielleicht sogar aus dem Rheinmündungsgebiet, dem späteren Holland.
Noch heute erinnern einige Namen daran. Später wurde das weiter elbabwärts gelegene
Urstromtalgebiet trockengelegt und es entstanden die drei weiteren Dörfer Neuengamme, Curslack
und Kirchwerder.
Entlang der Deiche siedelten sich Bauern an. So auch an der Stelle des Altengammer Elbdeiches,
an der später die Mühle errichtet wurde. Das Bauernhaus wurde bereits vor der ersten urkundlichen
Erwähnung im Hypothekenbuch des Jahres 1645 als Kate mit Stalltrakt erbaut. Es misst 26 x 11 m,
was in etwa den Abmessungen einer Großkate entspricht.
Offenbar reichte jedoch die landwirtschaftliche Nutzung zum Leben der Familie nicht aus; denn zu
der Landwirtschaft kamen noch eine Fährgerechtigkeit und eine Gastwirtschaft. In Letzterer hielten
sich die Fährgäste auf, bis der Fährmann von der „anderen Seite“ der Elbe übergesetzt hatte. Die
Fährgerechtigkeit beschränkte sich für dieses Haus nämlich auf das Recht, mittels eines fest
installierten Horns, den Fährmann von gegenüber herbeizurufen. Daher wurde dieses Haus als
Hornkaten bezeichnet. Außer der Gastwirtschaft betrieben die Vorgänger der späteren Müllerfamilie
im Hornkaten noch einen „Hökerladen“, in dem man Kolonialwaren, Kleidung und Pütt und Pann
kaufen konnte.
Neben Gaststätte und Hökerladen aber bildete die Landwirtschaft die Haupterwerbsquelle. Das
angebaute Gemüse wurde mit Ewern, später mit Motorschiffen, nach Hamburg zum Markt
transportiert. Für das Vieh – Pferde, Kühe und Ziegen – wurde das Gras auf dem Vordeichsgelände
gewonnen.
Peter Timmann war bereits 54 Jahre alt, als er das Wagnis eines Mühlenbaues an dieser Stelle
einging. Das war im Jahre 1876. Westlich des Wohnhauses ließ er eine Galerie-Holländer-Mühle auf
einer Warft errichten.
Und was ist eine Galerie-Holländer-Mühle?
Dazu zunächst ein paar grundsätzliche Erläuterungen (s. auch Wikipedia): Windmühlen sind
technische Anlagen, um die Energie des Windes zu nutzen, so wie Wassermühlen die Energie des
fließenden Wassers nutzen. Die ersten Windmühlen soll es bereits um 1750 v. Chr. In Babylon
gegeben haben. Danach hat es Windmühlen in Persien und auch in China und weiter in allen
Kulturen gegeben.
Ende des 16. Jahrhunderts kamen in den Niederlanden die Holländerwindmühlen auf, bei denen die
Turmhaube drehbar war und damit die Möglichkeit bestand, die Windblätter auf die Richtung des
Windes einzustellen. Als Erfinder dieser drehbaren Kappe gilt der holländische Ingenieur und
Mühlenkonstrukteur Jan Adriaanszoon Leegwater. Die Drehenergie wird über eine Königswelle aus
der drehbaren Turmhaube oder „Kappe“ ins feste Mühlengebäude nach unten geführt. Dort wird
über eine weitere Getriebestufe der Mahlgang mit einem Korbrad angetrieben. Bei weiteren
Nutzungen kann von den drehenden Wellen der Betrieb der benötigten Maschinen durch Zahnräder
oder Flachriemen abgenommen werden. Der Mühlenturm, auf dem die drehbare Kappe auflag, war
aus Holz oder Mauerwerk, in Altengamme ein achteckiger feststehender Turm aus solidem
Mauerwerk.
Durch die erheblichen Bauhöhen mancher Holländermühlen war es nicht mehr möglich, die Flügel
oder den Steert zu erreichen. Beides musste zur ordnungsgemäßen Bedienung der Windmühle
möglich sein. Man erfand deshalb eine Art umlaufenden Balkon oder Galerie, von der Flügel wie
Steert und Bremse bedient werden konnten. Diese Typen werden als Galerieholländermühlen
bezeichnet. Um eine solche handelt(e) es sich bei der Altengammer Mühle.
Ein Windmühlenflügel besteht aus einer hölzernen Rute und der Flügelfläche, die wiederum in zwei
unterschiedlich breite Teile geteilt ist. Die Flügel sind dem senkrecht zu ihrer Drehkreisebene
stehenden Winddruck so ausgesetzt, dass sie zur Seite hin ausweichen und so den Winddruck in
eine Kreisbewegung auf ihre Drehachse umsetzen.
Im Jahr 1876 wurde also westlich des Müllerhauses am Deich eine Windmühle errichtet. Sie war
wichtig geworden, weil die Bauern wegen des Mahlzwanges sonst ihre Ernten zur Riepenburger, zur
Reitbrooker oder zur Bergedorfer Mühle hätten bringen müssen, und das war wegen der schlechten
Straßenverhältnisse (die Deiche wurden ja erst Anfang des 20. Jahrhunderts gepflastert) sehr
beschwerlich. Und außerdem waren die Getreideernten stets gewachsen, so dass auch der neue
Müller ein gutes Auskommen erwarten konnte. Die Lage hier in Altengamme war wegen des stetigen
Windes und auch wegen der günstigen Verkehrslage an der Elbe sehr gut gewählt.
Nach der Fertigstellung wurde bis Windstärke 5 gemahlen, wobei die Mühlenflügel die beachtliche
Leistung bis zu ca. 80 PS „auf die Steine brachten“. Das zu mahlende Getreide kam von den
heimischen Bauern. Sie brachten das geerntete Getreide unmittelbar zur Mühle und außerdem
versorgten zwei Frachtkähne bis 1968 den Mühlenbetrieb mit Getreide aus Übersee. Um diese
Schiffe löschen zu können, führte eine Saugleitung über den Deich bis an die Anlegestelle in der
Elbe. Auch das einheimische Getreide, das nicht im Betrieb benötigt wurde, wurde mit Kähnen
weiter transportiert, z.B. zur Großmühle Plange. Die Saugleitung aber wurde schließlich 1968
demontiert, als infolge der großen Sturmflut von 1962 der neue Wehrdeich gebaut wurde.
Die Fertigprodukte, verschiedene Mehlsorten oder Schrotprodukte und Futtermittel für die Haustiere
wurden auf den Müllerwagen geladen und von Willy Struß an die Häuser gebracht. Willy Struß, den
kannte jeder hier in Altengamme, wenn er hoch von dem Kutscherbock des gummibereiften großen
Müllerwagens die kräftigen Kaltblüter am Zügel hielt.
Das Mehl wurde in der neuen Weizenmühle hergestellt und an die Kindermehlfabrik, später
Brotfabrik Kufecke in Bergedorf geliefert. Später brachte man 5kg-Beutel Mehl aus Roggen und
Weizen in den Freihafen zu der Firma Ockert, die diese Beutel nach Übersee brachte, wo
deutschstämmige Einwohner sie gern zum Brotbacken verwendeten.
Peter Timmann, der wie gesagt die Windmühle erbaut hatte, führte diese bis zu seinem Tode 1890,
dann trat sein Sohn Eggert das Erbe an. Dieser war wie sein Vater ein unternehmungslustiger Herr,
der als erster Altengammer ein Fahrrad besaß, mit dem er – für damalige Zeit überaus
bewundernswert- bis nach Schweden fuhr. Er war auch maßgeblich an der Gründung des
Radsportvereins „Schwalbe“ beteiligt, in dem junge Altengammerinnen und Altengammer es im
Radkunstfahren und im Radball zu wirklich großartigen Leistungen brachten. Aber seine
Beschäftigung mit den vielen anderen Dingen ging zu Lasten des Mühlenbetriebes und führte
schließlich dazu, dass sie im Jahre 1909 in Konkurs ging. Eggerts Bruder, Hermann Gustav
Timmann aus Reitbrook konnte sie für die Familie zurückkaufen und gab sie seinem Schwiegersohn
Hans Hermann Voß (das war der „alte Hans Voß“) nach dessen Hochzeit mit der damals erst 17-
jährigen Olga Timmann. Und nach dem Tode seiner Eltern führen jetzt Hans Voß und seine Frau
Gertrud, geb. Engelmann aus Weilburg an der Lahn, die Mühle in der vierten Generation. Auch der
„junge“ Hans Voß ist 2007 mit 84 verstorben. Seither lebt seine Frau Gertud allein in diesem großen
Haus.
Nicht nur die Besitzer wechselten, auch das Aussehen der Altengammer Mühle veränderte sich im
Laufe der 130 Jahre ihres Bestehens. Bis 1909 wurde mit Windkraft gemahlen und die Mühle
bestand damals nur aus dem Mühlenturm mit seinen markanten Flügeln; Hans Hermann Voß ließ
einen Benzolmotor installieren, so dass auch in windarmen Zeiten gemahlen werden konnte. Später
erfolgte die Umstellung auf elektrischen Betrieb. Es folgte 1924 der Anbau des markanten
westlichen Speichers und der Neubau der Weizenmühle auf der Ostseite 1939 gab schließlich dem
Gesamtkomplex sein heutiges Aussehen.
Die Windflügel mussten nach einem Sturm 1927 leider abmontiert werden, und die große
gusseiserne Königswelle, an der die Flügel hingen, wurde für den Bau von Kanonen im Zweiten
Weltkrieg herausgebaut. Diese Welle wog allein 3 t; der Krieg wurde auch damit nicht gewonnen,
aber heute hätte man vielleicht wieder Flügel daran anbringen können.
Wohnung Dachgeschoß
Wohnung Obergeschoß
Wohnung Erdgeschoß